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Doppeltes Glück

Sind Sie glücklich? Kann man Glück kaufen? Das sind die großen Themen der Neuen im Zeitschriftenregal.

Von Stephanie Herkenroth

Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Dieses Sprichwort mutiert nun zum Garant für wirtschaftlichen Erfolg. Vorausgesetzt man glaubt dem Zeitschriften-Kiosk an der Ecke. Dort kämpfen Magazine wie Flow, Herzstück und Happinez mit allen Mitteln um den besten Platz auf Augenhöhe des Kunden. Mit grafischen Meisterleistungen auf dem Cover erzählen sie von einer glücklicheren Welt. Seit Oktober steigt der Kuschelfaktor noch ein wenig mehr. my harmony und mindart sind die neuen Glücks-Propheten im Zeitschriftenhimmel.

IMG_7607My harmony entstand in der Redaktion von freundin und gehört zu Hubert Burda Media. Am 21. Oktober erschienen, wurden erstmalig 100.000 Exemplare veröffentlicht. Um zu sehen, wie harmoniebedürftig die deutsche Gesellschaft wirklich ist. Bezüglich der Themenwahl könnte man mit einem einzigen Verweis auskommen: Siehe Flow. Aber wir sind ja nicht in der Schule, wo der Lehrer die Schüler beim Abschreiben erwischt.

Mit einem Preis von 5,50€ richtet sich my harmony hauptsächlich an Frauen ab 25. Wer das Cover kennt, weiß warum. Rosa, Goldrahmen und Blumenmuster zeugen von einer weiblichen Zielgruppe. Mädchenhaft hin oder her – optisch ist das Magazin auf jeden Fall ein Hingucker. Inhaltlich? Naja… Herbstspaziergänge, Kochrezepte, Buchempfehlungen revolutionieren wohl kaum den Zeitschriftenmarkt. Die Doppelseite mit Teekannen, anstatt der üblichen Modetrends, erinnert den Leser wieder daran, dass er nicht gerade eine Glamour oder freundin durchblättert. Die Kunst des Briefe Schreibens sowie die Thematisierung des Wir-Gedankens ebnen schließlich den Weg in eine bessere Welt. Glück gehabt, my harmony!

IMG_7601All diese Artikel haben eine zentrale Botschaft: Plane bewusst Auszeiten in den Alltag ein. In diesen Pausen ist dann Zeit für eine Tasse Tee in der neuen Teekanne, das Ausmalen von Mandalas oder ganz simpel: Beine hoch und nichts tun.

mindart hingegen ist ein bisschen weniger Mainstream, dafür umso mehr Esoterik. Mit 60.000 Exemplaren und nur zwei Festangestellten fiel am 15. Oktober der Startschuss. Geplant ist ein Heft in zwei Monaten. Die Zeit zwischen den Veröffentlichungen sollte mindart besonders einem Thema widmen: Der Optik!

Denn für 6,90 € erhält man nichts weiter, als eine mittelmäßig gestaltete Schülerzeitung. Oder sind Anzeigen im 80er-Jahre Style plötzlich wieder modern? Und Werbung ohne Anzeigenhinweise? Ernsthaft? Das macht das angepriesene mindart coaching kaum seriöser… Um Meister Yoda zu zitieren: „Viel zu lernen du noch hast.“

Inhaltlich erwartet die „Mindartisten“, wie der Chefredakteur Nicolas Flessa die Leserschaft nennt, ein Mix aus Astrologie, Psychologie, Politik und Esoterik. Mit Fragebögen zur Selbstliebe, Weltverbesserungsmaßnahmen sowie einer Kolumne über innere Erneuerung erfüllt mindart alle Klischees der alternativen Lebensweise. Der Artikel über vegane Ernährung schmeckte vor allem dem Tagesspiegel nicht. Die Zeitung spricht im Zusammenhang mit mindart von „gedruckter Hirnwäsche“ und „[h]ochgefährliche[m] Irrsinn“.

Wie man es auch drehen mag, dieses Magazin ist ein Nischenprodukt. Special Interest allein reicht in diesem Fall nicht aus. Very Special Interest trifft es wohl besser.

Abschließend bleibt zu sagen: Es stimmt. Oft ist unser Alltag nichts als eine Ansammlung von IMG_7606Verpflichtungen und Freizeit rar. Und dass Spaziergänge gut für Körper und Geist sind, ist keine bahnbrechende Erkenntnis. Ähnlich verhält es sich mit dem Schreiben von Briefen. Natürlich kennen wir diese Art der Kommunikation. Aber wenn man von einem Termin zum nächsten hetzt, ist eine SMS im Sardinenbüchsen-Flair der U-Bahn leichter getippt, als Papier und Stift gezückt.

Soll bedeuten: Die Ratschläge von my harmony und Co. sind gut gemeint, doch zum Teil etwas realitätsfern. Wer einen Job und Familie hat, übernimmt Verantwortung. Diese kann man nicht einfach abstreifen. Oder wird Ihr Kind vor Freude platzen, wenn es vergebens auf das Eltern-Taxi wartet, weil diese sich auf einem herbstlichen Spaziergang befinden?

Auf sich selbst zu achten ist wichtig. Keine Frage! Aber wer nur an seinem eigenen Glück schmiedet, vergisst das seiner Mitmenschen. Wie immer im Leben gilt auch hier: Streben nach Glück ja, aber in Maßen!

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 29. November 2014 von in Allgemein, Gelesen und getaggt mit , , , , , , , , , .
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