Die Attentate in Paris waren grausam. #NousSommesUnis und #PeaceForParis sind nur zwei von vielen Solidaritätsbekundungen. Doch wie reagieren die Medien? Ein Kommentar.
Von Laura Kirsner
Am Freitagabend sitze ich nach einem anstrengenden Arbeitstag auf der Couch. Der Fernseher läuft im Hintergrund. Fußball interessiert mich nicht, aber man hat ja nicht immer selbst die Kontrolle über die Fernbedienung. Also bin ich nebenbei mit dem Smartphone auf Facebook. Anschläge während des Länderspiels in Paris, lese ich auf einmal. Und da höre ich plötzlich auch, was der Kommentator von sich gibt. Erstmal bin ich geschockt: Was ist passiert? Das weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand so richtig. Nur das Fußballspiel rückt völlig in den Hintergrund. Ich merke deutlich, der Kommentator sehnt das Ende herbei. Dann ist das Spiel beendet, und nach einigen Minuten bricht Panik aus. Die Zuschauer rennen auf das Spielfeld. Die Tore sind geschlossen, das Handynetz zusammengebrochen. Niemand weiß, wie es seinen Angehörigen geht.
Ich sitze bis spät in der Nacht vor dem Fernseher. Alle paar Minuten gibt es weitere, schreckliche Nachrichten. Immer wieder Sonderausgaben von Tagesschau und Co. Und es tauchen mehr und mehr Fragen auf. Wie viele Opfer gibt es? Wer waren die Attentäter? Irgendwann gehe ich ins Bett. Und ich hoffe. Für Paris, für die Demokratie, für weniger Hass und Zerstörung.
Am nächsten Tag ist das Thema in allen Medien. Die Aussagen hochrangiger Politiker werden vielfach zitiert. US-Präsident Barack Obama spricht von einer „Attacke auf die ganze Menschheit“. Der Präsident des Iran verurteilte die Anschläge scharf und betont seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus. “Diese Anschläge richten sich nicht nur gegen das französische Volk, sondern gegen die gesamte Menschheit, gegen Demokratie und Freiheit und alle gültigen Werte“, sagt der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu. Auch der deutsche Bundespräsident findet treffende Worte der Trauer und des Mitgefühls. “Aber zugleich muss uns bewusst werden: aus unserem Zorn über die Mörder müssen Entschlossenheit und Verteidigungsbereitschaft werden. Auch dabei stehen wir an der Seite der Franzosen.”
Aber auch die sozialen Netzwerke tragen ihren Teil bei. Facebook hat eine Funktion geschaffen, bei der sich Nutzer als “in Sicherheit” markieren können. So erfahre ich von drei Bekannten, dass ihnen nichts passiert ist. Zumindest körperlich gesehen. Denn die psychischen Ausmaße sind kaum vorstellbar.
Interessant ist auch der Filter für Profilbilder, den Facebook einrichtet, um diese mit den Farben der Tricolore einzufärben. Nun kann man seiner Solidarität mit den Opfern also auch auf diese Weise Ausdruck verleihen. Es folgen gespaltene Meinungen.
Klaus Kleber beendet das Heute Journal am Samstagabend mit einem ergreifenden Beitrag:
“Wir schließen mit Bildern, die keine Worte brauchen und keine Brutalität zeigen müssen. Bilder aus Paris, die ganz von allein einen Begriff davon geben, was da gestern geschehen ist. Äußerlich und innerlich. Wir wollten nur die Geräusche der Straße dabei hören, bis David Martello auf den Gedanken kam, sein Klavier an einen der Tatorte zu bringen und die Melodie von John Lennon zu spielen, die von einer Welt träumt, in der so etwas nicht mehr passiert, weil es keine Fanatiker mehr gibt.”
Danach folgen Fotos der Anschlagsorte, wo viele Menschen Bilder und Kerzen niederlegen. Aber auch Fotos der Solidarität – verschiedene Wahrzeichen in den Farben der Tricolore: Liberté, Égalité, Fraternité. Die westliche Welt steht zusammen. “Diese Farben haben unsere Welt einmal verändert. Zum Besseren, wie wir glauben”, schließt Kleber seinen Beitrag.
Auch die Reaktionen auf Twitter sind zu großen Teilen Zeichen der Brüderlichkeit. #NousSommesUnis twittern tausende Menschen. Und die Pariser bieten ihre Wohnungen unter dem Hashtag #porteouverte denjenigen an, die nicht alleine sein wollen mit ihren Ängsten und Erfahrungen. Menschlichkeit zeigt sich auch in den dunkelsten Stunden.
Der Französische Künstler Jean Julien twitterte ein Bild, das den Eiffelturm inmitten des Peace-Zeichens zeigt. Der Titel schlicht und ergreifend: Peace for Paris. Es geht um die Welt.
Peace for Paris pic.twitter.com/ryf6XB2d80
— jean jullien (@jean_jullien) 13. November 2015
//platform.twitter.com/widgets.js
Aber es gibt auch andere Reaktionen. Hasskommentare in den sozialen Netzwerken. Missbrauch eines schrecklichen Attentats für die eigenen Interessen.
Auch erschreckend: Obwohl es keinerlei Beweise gibt, dass der gefundene syrische Pass etwas mit dem Attentat zu tun hat, sprechen zahlreiche Medien genau davon. Manche zeigen vielfältige Möglichkeiten auf, was der Fund bedeuten könnte, andere nicht. Wie kann man im öffentlich-rechtlichen Fernsehen davon sprechen, dass ein in Griechenland registrierter Flüchtling ein Attentat begangen hat, wenn es sich noch nicht mal um eine Mutmaßung handelt? Es ist beängstigend, wie schnell aus Spekulationen Fakten gemacht werden.
Im Gegensatz dazu hat Die Zeit mit einem Artikel tolle Arbeit geleistet. Die Journalisten rekonstruieren die Nacht. Was ist Fakt, was Spekulation? Endlich ein umfassender Bericht, der klarmacht, was man weiß, und was eben noch nicht.
Auch die Talkshow von Maybritt Illner am Samstagabend bietet einen echten Mehrwert. Die Gäste diskutieren ungewohnt ruhig, fallen sich kaum in Wort. Hier werden sachlich und ausführlich der IS und seine Strategien besprochen. Zeit-Redakteur Yassin Musharbash fällt mit durchdachten Antworten auf, Polemik gibt es hier wenig bis keine. Und auch kein Halbwissen und falsche Informationen, wie sie mir beim Sonntagsstammtisch im Bayerischen Rundfunk aufgefallen sind. Dieser fördert zum Teil für mich erschreckende Meinungen zu Tage. Helmut Markwort, Herausgeber des Focus, jongliert mehrfach mit Zahlen, die nicht stimmen. Er vermischt Terrorpolitik mit Flüchtlingspolitik. Spielt, ob gewollt oder ungewollt, den “besorgten Bürgern” in die Hände. Ein Kommentar auf Facebook zur Sendung lautet: “Gründen Sie einen Verein mit Bachmann und verlassen Sie den Stammtisch!” Aber viele stimmen den Parolen auch zu.
Einer in der Runde bringt jedoch auf den Punkt, was auch mich zutiefst schockiert. Auf die obligatorische Abschlussfrage, was einen diese Woche geärgert und gefreut habe, antwortet der Kabarettist Mathias Tretter:
“Mich hat geärgert die sofortige Instrumentalisierung” und weiter “dass noch nichtmal ein Tag verstreicht, und dann wird das sofort für die eigenen Interessen instrumentalisiert. Das fand ich sehr geschmacklos und zum Kopfschütteln.”
Ich finde das auch. Und ich bitte um ein Mindestmaß an Respekt und Menschlichkeit. Gegenüber den Opfern, gegenüber den Trauernden und Betroffenen, gegenüber allen Menschen diese Erde.
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