Zwischen Hass- und Ostklub
Seit seiner Gründung wird der von Red Bull finanzierte Fußballklub in Leipzig in deutschen Leitmedien diskutiert. Um Sportliches geht es oft nur am Rande.
Von Christoph Farkas
Wer polarisiert, interessiert – so lautet eine simple Formel für gesellschaftliche und mediale Aufmerksamkeitsmechanismen. Ein Musterbeispiel dafür ist der Fußballverein RB Leipzig, gegründet und finanziert vom österreichischen Unternehmen Red Bull. Fanproteste und Boykotte begleiten den Klub seit seiner Gründung, Studien erklären ihn zum unsympathischsten im deutschen Profifußball; gleichzeitig sorgte der Verein in der zurückliegenden Zweitliga-Saison für überdurchschnittliche Zuschauerzahlen im Stadion und hohe Einschaltquoten bei Live-Spielen. Die zentrale Rolle des Investors wird als Angriff auf die Fußballkultur begriffen, andererseits beschert eben dieser Investor Leipzig und den neuen Bundesländern eine wirklich konkurrenzfähige Mannschaft. Diese Spannungsfelder scheinen den Verein erzählenswert für deutsche Medien zu machen. Sie haben das polarisierende, vielseitige Bild von RB Leipzig beschrieben, verfestigt und geprägt.
Mit einer Diskursanalyse habe ich zu ergründen versucht, wie das geschieht. Wie inhaltlich und rhetorisch argumentiert wird, wer über RB Leipzig sprechen darf und welche gestalterischen Mittel eingesetzt werden. Ich habe dazu 21 längere Beiträge aus dem Spektrum überregionaler Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine (SZ, FAZ, Zeit, Welt, taz, Tagesspiegel, Spiegel, Stern, Focus) sowie aus dem Fachmagazin 11Freunde untersucht, die seit der Gründung RB Leipzigs erschienen sind.
Dabei zeigte sich: Die sportlichen Leistungen des Vereins sind im Diskurs nur ein Aspekt. Darüber hinaus wird der Verein aus ökonomischer, juristischer, politischer oder (fan-)kultureller Perspektive besprochen. So habe ich fünf wiederkehrende Konstruktionen aus den Texten identifiziert, die diskurstheoretisch als Diskursstränge bezeichnet werden. Jeder Text besteht aus mehreren solcher Stränge, die sich überschneiden und verstärken, widersprechen und entkräften. Die fünf Konstruktionen/Stränge und meine jeweiligen Beobachtungen möchte ich knapp vorstellen:
- Der Konzernklub: Wird über RB Leipzig gesprochen, wird zwangsläufig über Red Bull, den Investor, gesprochen. RBL ist immer „der Konzernklub“ – das ist die Grundlage jeder Kritik. Die Kritik und die entsprechenden Argumente stecken dabei schon in den Begriffen, mit denen der Verein beschrieben wird. Übliche und oft selbstverständlich verwendete Bezeichnungen wie Plastik-, Reagenzglas- oder Retortenklub deuten an, dass der Verein künstlich erschaffen, massenhaft reproduzierbar und beliebig ist. Zwar erinnern die Begriffe an Innovation und Kreativität, aber eben auch an Umweltverschmutzung, Chemie und gefährliche Experimente, an Klone, Kalkül und Kälte. Als Kritiker werden im medialen Diskurs Verantwortliche sogenannter Traditionsvereine zitiert, etwa Hans-Joachim Watzke oder Peter Neururer. Allerdings dienen sie eher als Stichwortgeber, statt ernsthaft in die Argumentation der Autoren einbezogen zu werden. Charakteristisch ist außerdem die szenische Beschreibung dessen, was RB Leipzig fehlt: Tradition und Geschichte, wie sie sich bei Lok Leipzig (Spiegel 2010) oder Union Berlin (SZ 2014) findet. Relativiert wird die Kritik mit dem Verweis auf eine allgemeine Kommerzialisierung des Fußballs, sowie mit den Argumenten, dass RB Leipzig gut für Leipzig/den Osten sei und attraktiven Fußball spiele (siehe Diskursstränge Der Ostverein Die Übermannschaft).
- Der Hassklub: RB Leipzig wird in drastischen Worten, absoluten Behauptungen und Superlativen als das Feindbild vieler Fußballfans inszeniert, als das „umstrittenste Projekt der deutschen Fußballgeschichte“ (Focus 2014). Attacken auf Fans, Spieler und Verantwortliche werden detailliert und dramatisierend beschrieben, Protestplakate und Anti-RB-Sprechchöre zitiert und abgebildet, Sicherheitsmaßnahmen erklärt. Der Diskursstrang Hassklub dient dramaturgisch oft als Rampe in den Text, um Spannung zu erzeugen oder die Leser mit ihren Erwartungen abzuholen.
- Der Unrechtsklub: Die Rechtmäßigkeit von RB Leipzig wird infrage gestellt, insbesondere anhand des Namens und Logos. Beides erinnert an Investor Red Bull – Vereinszeichen „zum Zwecke der Werbung“ widersprechen jedoch den Satzungen deutscher Fußballverbände, die den Verein lizenziert haben. Verschwörungen zwischen Verein und Verbänden werden mit Stilmitteln angedeutet, die man aus Investigativ-Recherchen kennt: mit Ellipsen und Metaphern, anonymen Quellen und der Delegitimierung von Zitierten, die „drucksend“ oder „polemisierend lächelnd“ Dinge sagen (11 Freunde 2012).
- Der Ostklub: Der Kritik gegenüber steht die weitgehende mediale Übereinkunft, dass sich die Stadt Leipzig und der Ostfußball den Konzernklub bzw. Red Bull bei allen Entbehrungen der Nachwendezeit „verdient“ hätten. Seit 2009 spielte kein Verein aus den neuen Bundesländern mehr in der ersten Liga. Der Einstieg Red Bulls wird mit religiösen Metaphern begleitet, etwa als „Segen für den Fußballbetrieb des Ostens“ (Focus 2014). Dass auch die Stadt den Klub begeistert aufnimmt, sollen die Zuschauerzahlen und Fotos von Fans belegen, die vor allem die aktuelleren Texte bebildern. Als besonders entschiedener Fürsprecher tritt Martin Machowecz auf (Zeit 2014, 2016), der meint, dass ein konkurrenzfähiger Verein ohne einen ausländischen Investor in Ostdeutschland nie möglich gewesen wäre. Machowecz gehört zur Minderheit der ostdeutschen Autoren in einem Diskurs, der vor allem von westdeutschen Sportredakteuren geprägt wird.
- Die Übermannschaft: Die fußballerischen Leistungen RB Leipzigs, Taktik oder Transferpolitik, spielen im Diskurs eher eine Nebenrolle. Der Verein wird dann als übermächtiger Daueraufsteiger beschrieben, der den vom FC Bayern dominierten deutschen Fußball langfristig wieder spannend machen könnte. Eine wiederkehrende Metapher der Stärke, Dynamik und Überlegenheit des Vereins ist die Bezeichnung als „Bullen“, die nebenbei auch an Seuchen oder die Polizei denken lässt, ein anderes Feindbild vieler Fußballfans. Als zentrale Figur des Erfolgs wird Trainer und Sportdirektor Ralf Rangnick ausgemacht. Er ist in den untersuchten Medien das Gesicht und die Stimme des Vereins. Seit seinem Einstieg 2012 wird er fast immer zitiert und ist ein häufiges Bildmotiv – wie übrigens auch das wenig kinderlieb erscheinende, kraftstrotzende und eher diabolische Maskottchen.
Was lässt sich aus der Analyse für die Zukunft vermuten? Ich gehe davon aus, dass die Diskursstränge den Verein auch in der ersten Bundesligasaison begleiten werden. Die (mediale) Aufmerksamkeit wird groß sein, der Fokus aufs Sportliche weiter verhältnismäßig klein. Gegnerische Fans werden weiter protestieren und boykottieren – schon in der ersten DFB-Pokalrunde gegen Dynamo Dresden. Neue Kritiker werden sich äußern, neue Argumente sind kaum zu erwarten. Den üblichen Vorwürfen, dass der Verein nur ein „Marketing-Tool“ (FAZ 2014) von Red Bull sei und die Fans nichts mitbestimmen dürften, werden Befürworter weiter entgegenhalten, was für ein Segen die Mannschaft für Leipzig und den Osten wäre und wie ansehnlich die jungen Spieler doch Fußball spielten. Dass sich diese Argumente kurzfristig erschöpfen, ist unwahrscheinlich. Fanforscher Hartmut Lange sieht dafür in der im März erschienen ersten Vereinsgeschichte Aufstieg ohne Grenzen nur zwei Wege: Dass sich ein anderes Anti-Symbol für die Fußballfans findet (der nächste Investorenklub?) oder sich der Verein öffnet und authentische Strukturen entwickelt.
Literaturempfehlung
Kroemer, Ullrich. RB Leipzig: Aufstieg ohne Grenzen. Göttingen: Werkstatt 2016.
Zitierte Texte, chronologisch
Kramer, Jörg: Im Sog des Kapitals. In: Der Spiegel 42/2010, S. 154-156.
Herrmann, Boris: Viel Feind. In: Süddeutsche Zeitung vom 3./4. Mai 2014, S. 3.
Karig, Friedemann: Red Bull? Nutella? Total egal! In: Focus vom 15.12.2014, S. 144-148.
Biermann, Christoph: Die Dose der Pandora. In: 11Freunde #125, 4/2012, S. 50-53.
Machowecz, Martin: Vorsicht, belebend. In: Die Zeit, Regionalausgabe Osten 20/2014, S. 12.
Machowecz, Martin: Jung, reich, Retorte. In: Die Zeit, Ausgabe 20/2016, S. 12.
Heß, Peter: Fußball aus der Dose. In: FAZ vom 2.8.2014, S. 32.
Gefällt mir:
Like Wird geladen …
Ähnliche Beiträge
Über Michael Meyen
Professor für Kommunikationswissenschaft an der LMU
Pingback: RBLive! | Das Portal für Nachrichten rund um RB Leipzig
Pingback: Presse 02.08.2016 | rotebrauseblogger