Munich Media Watch

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Wieder ein Fauxpas!

Donald Trump in London. Das hatten wir doch schon.

 Von Savina Gencheva

Donald Trump – das Staatsoberhaupt der USA, dem die deutschen Medien vermutlich am kritischsten gegenüberstehen. Sein Besuch im Juni in London gab erneut Anlass, diese negative Einstellung mehr oder weniger subtil zu äußern. Dieser Text kritisiert drei Aspekte der deutschen Berichterstattung: das Bild des Präsidenten, die Boulevardisierung und das Verschweigen bestimmter Informationen über die Anti-Trump-Proteste.

Die Berichterstattung über Trumps Besuch bei der Queen zeigt, dass das Treffen im Vorjahr nicht vergessen ist. Die Erinnerung an die Verspätung des US-Präsidenten und sein Laufen vor der Queen sind noch lebendig. Als Leser hat man das Gefühl, dass die deutschen Medien weitere peinliche Patzer erwartet oder sogar darauf gehofft haben. Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte beispielsweise ein Video mit dem Titel „Trump und die Queen. Hat er ihr auf den Rücken geklopft?“ Auch andere Medien wählten ähnliche Titel: Web.de und die WAZ veröffentlichten zum Beispiel dasselbe Video mit den Titeln „Hat Donald Trump beim Staatsbankett die Queen berührt?“ bzw. „Trump und die Queen: Hat er sie berührt?[4]. Es wird nicht direkt behauptet, dass sich der Präsident wieder blamiert hat. Trotzdem bringen solche suggestiven Fragen die Leser genau auf diesen Gedanken, noch bevor sie sich das Video anschauen.

Wenn tatsächlich klickt, erfährt, dass Trump scheinbar gegen die Regeln verstoßen hat und dass es nicht sicher ist, ob er wirklich die Queen berührt hat. Warum gilt hier nicht wie in der Justiz die Unschuldsvermutung? Warum lautet der Titel nicht „Trump soll der Queen auf den Rücken geklopft haben“? Es wird dadurch nichts (oder zumindest weniger) suggeriert. Zu sachlich? Oder einfach ein neues Puzzleteil im alten Trump-Bild? Oder sind wir schuld, wir Leser? Trump ist nicht beliebt und wegen seiner zahlreichen Fauxpas eine perfekte Zielscheibe für fragwürdige Tricks wie solche Fragen im Titel.

Man könnte behaupten, dass ein „Clown“ wie der US-Präsident keine bessere Berichterstattung verdiene. Dass es völlig normal sei (auch von den Medien), weitere Fehler von ihm zu erwarten. Ich frage mich aber Folgendes: Warum soll es falsch sein, von den Medien zu erwarten, neutral zu bleiben, auch wenn sie über Donald Trump berichten? Ist es so schwer, ihn nicht ständig anzugreifen? Meiner Meinung nach nicht. Wie oben gezeigt, gibt es Alternativen.

Zur Boulevardisierung. Ein Beispiel ist die Berichterstattung über Trumps neue Frisur. Die Neue Osnabrücker Zeitung veröffentlichte einen Artikel mit dem Titel „Vor Staatsbesuch in London: Donald Trump überrascht mit neuer Frisur“, obwohl nur die Hälfte des Artikels Trumps Aussehen behandelt. Das heißt: Diese Überschrift zielt eher auf Klicks. Von einer seriösen Zeitung ist mehr zu erwarten. Die Stuttgarter Zeitung widmet der neuen Frisur einen ganzen Artikel (auch wenn er kurz ist). Besonders investigativ zeigte sich auch Welt Online. Ein eher langer Artikel über Trumps Treffen mit der Queen endet mit lustigen Tweets und Zitaten aus dem Guardian über seine Frisur. Man blickt sogar in die Vergangenheit zurück, als Trumps Haare schon einmal für Diskussionen sorgten. All diese Texte belegen, dass sich Medien auf überflüssige Details fokussieren. Das heißt, sie verkommen zu Boulevardpresse, wenn sie über den US-Präsidenten informieren. Leser erfahren über jeden seine Atemzüge und Schritte, auch wenn sie sich nicht dafür interessieren. Sie erwarten wahrscheinlich von den seriösen Medien, Informationen zu wichtigen Themen wie Trumps Konflikten mit der EU, dem Iran oder China zu bekommen. Stattdessen gibt es etwas zu seinem Aussehen.

Und dann sind da die Anti-Trump-Demonstrationen. Die Proteste gegen den Besuch in London fanden zu Recht große Aufmerksamkeit in den deutschen Medien. Wenn Zehntausende Menschen zusammenkommen und auf eine insgesamt kreative Weise ihre Meinung äußern, sollten die Medien selbstverständlich darüber berichten. Was man aber aussetzen kann, ist die Betonung und die Auslassung von bestimmten Informationen. Diese Journalismustricks sind besonders schlau: Es wird nicht gelogen, ergo verletzen die Journalisten keine heiligen Regeln Ihres Berufs. Sie schaffen es aber trotzdem, die Meinung der Mediennutzer zu manipulieren.

So erfahren wir ziemlich viel über die Gestaltung der Proteste: über das Trump-Baby, über den Donald-Trump-Roboter, der mit heruntergelassener Hose auf einer Goldtoilette sitzt, und über Klopapier mit Trumps Gesicht. Oder über eine Gorilla-Figur mit Trump-Maske im Käfig, die dem Boris-Johnson-Double Drew Galdron hinterhergeht. Außerdem zählt Die Zeit detailliert die Protestgruppen auf: „Umweltschützer, Sozialisten, Marxisten, Brexit-Gegner, Freunde Palästinas oder Kubas, Demonstranten gegen einen Krieg mit dem Iran, gegen den Irakkrieg, gegen die amerikanische Politik ganz allgemein“. Spannende Informationen liefert ebenfalls ein Artikel der Aargauerzeitung mit dem Titel „Die 15 besten Protestschilder von der Anti-Trump-Demo in London“, den ich hier nicht zusammenfassen werde.

Das Bild für die Lesern: spannende Demos, absolut unproblematisch. Teilnehmer, Trump-Figuren, Schilder. Die deutschen Medien verschweigen allerdings, dass die Proteste dunkle Seiten hatten. Dazu haben auch manche Trump-Gegner einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet. Englische Medien (Independent, Express) berichten zum Beispiel über einen älteren Trump-Anhänger, den Trump-Gegner als „Nazi-Abschaum“ beschimpften, und über einen anderen, der ebenfalls aus dem anderen Lager angegriffen und von zu Boden gedrückt wurde. Manchmal musste sogar die Polizei einschreiten, um die Sicherheit der Trump-Befürworter zu gewährleisten: laut Independent umgaben Trump-Gegner eine kleine Gruppe von Trump-Anhängern. Dann wurden die letzten von Polizisten in einen Pub geschleppt, damit sie nicht angegriffen werden.

Manche Trump-Gegner waren aber nicht nur zu den Trump-Fans, sondern auch zu den Polizisten unfreundlich. Sie machten ihrem Unmut über die Polizei Luft, indem sie skandierten: „Die Polizei schützt die Faschisten!“ Über diese Ereignisse berichteten die deutschen Medien fast nichts. Die Zeit bezeichnete die Protestierenden zwar als „ein großes Sammelbecken insgesamt sehr friedlicher, höflicher Londoner Bürger“. Sie ging aber auf die Ausnahmen unter diesen Londoner Bürgern und ihre Taten nicht ein. Nein, gleich nach diesem Satz wurde das Thema gewechselt: Es folgten Informationen über den Konflikt zwischen dem Bürgermeister Khan und Donald Trump. Der Spiegel war geneigter, über den Konflikt zwischen den beiden Lagern zu informieren: Ein Video zeigte, wie sich ein Trump-Anhänger und ein Trump-Gegner einen Schlagabtausch liefern. Danach wurde berichtet, dass die beiden Lager immer wieder aufeinander losgingen und die Polizei einschreiten musste. Nicht mehr. Keine Details.

Wer sich nur auf deutsche Medien verlassen, erfuhr nichts über die angegriffenen älteren Trump-Anhänger, die Einschüchterung von Seiten der Trump-Gegner und ihre wüsten Beschimpfungen. Wahrscheinlich waren die deutschen Medien der Auffassung, dass diese Ereignisse für die deutschen Leser irrelevant sind. Es ist zwar nicht notwendig, jedem dieser Vorfälle einen Artikel zu widmen, aber man hätte sie zumindest in einem Artikel aufzählen können. Die mangelhafte Berichterstattung über die Aggression der Trump-Gegner manipuliert, wie Deutsche die Welt wahrnehmen. Nein, nicht alle protestierten kreativ gegen Rassismus, Sexismus etc. Manche setzten die nicht besonders kreative Idee in die Tat um, Andersdenkende als Nazis zu beschimpfen und verletzliche alte Menschen anzugreifen.

Die deutschen Medien lieferten keine Details zu diesem Thema, aber sie haben es nicht versäumt, ihre Leser ausführlich über Trumps neue Frisur, die Trump-Figuren, das Klopapier mit Trumps Gesicht sowie die interessantesten Protestschilder von der Anti-Trump-Demonstration zu informieren. Kurz gesagt: Die deutschen Medien hatten eine ungewöhnliche Vorstellung, welche Aspekte der Anti-Trump-Proteste Aufmerksamkeit verdienen und welche nicht.

Über Michael Meyen

Professor für Kommunikationswissenschaft an der LMU

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 30. August 2019 von in Allgemein und getaggt mit , , , , , , .
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