Munich Media Watch

Uns bewegt, was Medien bewegt.

Wie total ist digital?

Digitalisierung ist gefährlich, sagen die Medien. Für unsere Kinder. Und was ist mit der Umwelt?

Von Sophia Niederhuber & Sofia Koussouris

Was passiert, wenn wir das Internet nutzen? Gibt es neben schneller Vernetzung und unbegrenztem Zugang zu Information auch Nachteile? Die deutschen Medien sind sich da (fast) einig: Die Nutzung digitaler Geräte bietet Chancen für den internationalen Markt und ist lediglich pädagogisch gesehen schädlich. Dass die Digitalisierung nicht nur der Kindesentwicklung schadet, sondern auch der Umwelt, wird verschwiegen. Die Schattenseite: Server und Rechenzentren vernetzen nicht nur, sie verbrauchen auch massenhaft Energie.

Digitalisierung ist überall. Es wird positiv berichtet, es wird negativ berichtet. Der blinde Fleck: Nachhaltigkeit. Wir haben das Internet nach kritischen Zeitungsartikeln bezüglich der Digitalisierung durchforstet. SZ, FAZ, Zeit, Focus, Spiegel, Stern und tagesschau.de. Kritik fanden wir lediglich in Bezug auf die Mediatisierung der Schulen.

Im Folgenden rekonstruieren wir dieses Muster der Berichterstattung, erläutern die Relevanz der verschwiegenen Themen und thematisieren so eine Schlagseite der Leitmedien.

Im Zeitalter der globalen Vernetzung scheint die digitale Optimierung sämtlicher Arbeits-  und Lernprozesse der Schlüssel zu mehr Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit zu sein. Die oben genannten Medienangebote weisen aber auch auf Gefahren hin: „Ausbildung etwa könne von der Digitalisierung profitieren, Bildung aber bleibe doch vor allem dem Selbstdenken verpflichtet“, warnt Wolfgang Schimpf in der Süddeutschen Zeitung (Beitrag vom 29. November 2018). Andere Journalist*Innen des gleichen Blatts sehen die Digitalisierung hinsichtlich Pädagogik ebenso kritisch (Beitrag vom 24. Februar 2018). Auch Die Zeit bildet eine Studie ab, die Entwicklungsstörungen bei Kindern mit der intensiven Nutzung digitaler Medien verknüpft (Beitrag vom 29. Mai 2017). Laut Focus kann die verfrühte Verwendung von Mobiltelefonen zu Sprachstörungen, ADHS und Übergewicht führen.

Zusammengefasst: Das Internet macht mein Kind dumm und unaufmerksam. Der Blick unserer Leitmedien wird jedoch nicht auf das schwieriger Ersichtliche gerichtet: Welche negativen Auswirkungen die Digitalisierung auf unsere Umwelt hat. Denn was in der Berichterstattung der Medien fehlt, ist die Desillusionierung einer zunehmend digitalen Zukunft.

Der Energiebedarf für Produktion und Nutzung digitaler Medien steigt jährlich um 9 Prozent (Zusammenfassung verschiedener Studien vom März 2019). Die Annahme, dass die Digitalisierung unser Leben „grüner“ und energietechnisch effizienter macht, ist also hinfällig. Ganz im Gegenteil: Deutsche Rechenzentren hatten 2014 einen Energiebedarf von zehn Kilowattstunden, 2020 soll dieser noch einmal um 20 Prozent ansteigen (Eintrag vom 7. Juli 2016). Zwölf Milliarden Kilowattstunden entsprechen zwölf Milliarden Waschgängen – pro Jahr. Zwar wird versucht, die Effizienz jener Zentren zu steigern, jedoch steigt parallel eine weitere Komponente an: Die absolute Anzahl der Internet-Nutzer*Innen. Während 2015 gut 40 Prozent der Weltbevölkerung das Internet nutzen, sollen es bis 2020 bereits 52 Prozent sein. Das entspricht rund vier Milliarden Menschen, welche pro Kopf monatlich ca. 25 GB nutzen werden (die komplette VNI Prognose von 2015 bis 2020).

Die Datenzentren von Google in Oregon verbrauchten bereits 2006 so viel Strom wie eine Stadt mit 200.000 Einwohnern, Tendenz steigend (vgl. Maxwell & Miller 2012). Streaming-Plattformen wie Netflix, Sky und Co. müssen ständig abrufbar sein, weshalb ihre Speicherzentren durchgehend aktiv sind. Genauso verhält es sich mit dem Cloud-Speicher – alles auf Kosten unserer Umwelt. Genau das unterschlagen die Journalisten der deutschen Massenmedien.

Lediglich einzelne Beiträge geben hier einen kleinen Einblick: So schreibt zum Beispiel der Stern: „Auch virtuelles Reisen kostet Energie“. Eine einzelne Anfrage bei der Suchmaschine Google entspricht etwa vier Watt Strom pro Stunde, oder zwei Gramm CO2-Ausstoß (8. August 2018).

Die Gefahr ist bereits länger bekannt:  Server und Rechenzentren produzierten schon 2007 so viele Emissionen wie die gesamte Luftfahrt (vgl. Maxwell & Miller 2012). Die von Greenpeace veröffentlichte Studie „Clicking Clean“ von 2017, welche die Energiequellen einzelner Internetanbieter wie Netflix und YouTube untersucht und für nachhaltige, erneuerbar betriebene Datenzentren plädiert, erlangt jedoch nirgends mediale Präsenz. Angesichts der hohen Relevanz von Nachhaltigkeit sollten die Leitmedien über jene Zustände und mögliche Alternativen berichten. Denn die technischen Innovationen bieten durchaus Chancen – solange sie richtig eingesetzt werden.

So kann man mit Carsharing – organisiert über das World Wide Web – tausende von Kilometern sparen, und das Streamen von Filmen und Serien verbraucht weniger Ressourcen als der klassische DVD-Verleih (Tagesspiegel vom 15. November 2018). Allerdings bedeutet Digitalisierung immer auch zwangsläufig die stärkere Nutzung von technischen Geräten. Damit verbunden ist der hohe Stromverbrauch, der in den Leitmedien so gut wie kein Thema ist.

Es entsteht ein einseitiges und unvollständiges Bild der Digitalisierung in der Wirklichkeit der Massenmedien. Gewarnt werden wir vor der pädagogischen Gefahr, jedoch nicht vor dem Verbrauch an Energie, der entsteht, wenn wir ein Dokument in der Cloud speichern oder dort abrufen. Gefährlich ist also nicht nur die Digitalisierung an sich, sondern das unklare Bild der Realität in den Medien. Hier wäre es die Aufgabe von Jounalist*Innen, das Konstrukt Digitalisierung in seiner vollen Dimension darzustellen und das Bild zu berichtigen.

Gut ist zwar, dass man versucht, ein Bewusstsein für limitierten Medienkonsum in den Köpfen zu stärken, indem man auf drastische pädagogische Folgen hinweist, jedoch sollte die Umwelt ebenso zur Sprache kommen. Denn diese leidet unter der Digitalisierung. Warum werden derart wichtige Themen im Punkto Umweltschutz nicht ausreichend diskutiert? Wird davon ausgegangen, dass dies nicht den Leserinteressen entspricht, die redaktionelle Linie durchbricht? Oder schneiden sich die führenden Medienhäuser, welche sich zunehmend auf digitale Berichterstattung und weniger auf Print fokussieren, durch Kritik am digitalen Energieverbrauch selbst ins Fleisch?

Literaturangabe

Maxwell, R., & Miller, T. (2012). Greening the media. New York: Oxford University Press.

Titelbild: Unsplash

Über Michael Meyen

Professor für Kommunikationswissenschaft an der LMU

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 26. August 2019 von in Gelesen und getaggt mit , , , .

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