Munich Media Watch

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(Medien-)Gewalt gegen Frauen

Noch ein Artikel darüber, wie die deutsche Presse das strukturelle Problem von Gewalt gegen Frauen bagatellisiert (vgl. Vega 2019).

Von Matilda Poche

Bei Gewalt gegen Frauen sprechen die Fakten für sich. Die Medien aber auch. Deswegen wird schnell aus einer grausamen Gewalttat gegen eine Frau ein großes „Familiendrama“ mit Klatschpressen-Potenzial. Und das fast ausnahmslos in allen deutschen Leitmedien.

Wenn in der Zeitung oder im Fernsehen von „Liebesdrama“ oder „Familientragödie“ gesprochen wird, impliziert das eine familiäre Konfliktsituation, an der beide Parteien (Frau und Mann) gleich beteiligt sind. Dass es sich aber tatsächlich um strategische Gewalttaten gegen das weibliche Geschlecht handelt, ist aus dem Großgedruckten so erst einmal nicht herauszulesen. Das mag daran liegen, dass die Medien übertreiben und emotionalisieren, um die Aufmerksamkeit der Leser zu gewinnen (Geiger 2008). Die Hintergründe des Täters und die der Betroffenen bleiben meist verborgen. Oder das Ganze wird zum Einzelfall, zum Persönlichkeitsproblem, zum Familienproblem (Geiger 2008). Was bleibt für die Leser? Ein grausamer Einzelfall.

Dazu kommt, dass es oft um sozial Schwache geht, um reiche Unternehmer, um psychisch Kranken oder um Menschen mit Migrationshintergrund (am besten aus kleinen deutschen Städten). Alles weit entfernt vom rational denkenden, gutbürgerlichen Großstädter.  Um die Dramaturgie zu steigern, ist ein O-Ton einer erschütterten Nachbarin das Mittel, alles noch persönlicher zu machen. Oder große Aufmacher-Bilder, die angsterfüllte Gesichter, große Schatten, den vermeintlichen Tatort oder geballte Fäuste zeigen.

Kelly Vega hat in diesem Blog schon aus den Daten des Bundeskriminalamtes zitiert.  Wir wissen, dass jeden zweiten bis dritten Tag eine Frau von ihrem (Ex-/Zukünftigen-) Partner umgebracht wird. Zahlen wie diese bleiben aber wiederum zunächst in den Leitmedien verborgen. Der schnelllebige Medienkonsument bekommt davon nichts mit.

Auch in Berichten über sexuelle Gewalt wird in der Medienöffentlichkeit häufig über Sextriebe oder Sex-Attacken geredet. Als wären diese Taten nicht zu verhindern gewesen, denn so sind Männer nun mal.

Hintergrund dieses Phänomens mögen wohl die Akteure und ihre Vorstellung der Medienwelt sein.  „Sie suchen verbale und visuelle ‚Aufmacher‘“ (Flicker 2008). Mehr ist es im Grunde nicht, was mit den Schicksalen vieler Frauen in den Medien passiert. Sie werden zur Titelstory. Damit erfüllen sie das in der Medienöffentlichkeit oft verwendete Motiv, in erster Linie über Events statt Anliegen und Probleme zu berichten (Flicker 2008).

Ein angemessenes Bewusstsein dafür, dass eine grundlegende Problematik in der Gewalt gegen Frauen liegt, schafft man so nicht.

Beispielhaft für eine derartige Bagatellisierung ist ein Fall aus dem baden-württembergischen Tiefenbronn von Mai 2019. Bild schreibt: „Familiendrama in Tiefenbronn: Vater (60) tötet seine Frau und einen der beiden Söhne“ (26. Juni 2019). Der Stern schreibt am selben Tag: „Bei mutmaßlichen Familiendrama in Baden-Württemberg hat ein Mann offenbar seine Frau und seinen Sohn getötet“. Lokalzeitungen wie die Stuttgarter Nachrichten (StN.de) oder die Pforzheimer Zeitung (pz-news.de) taten es ihnen gleich.

All diese Artikel zieren Bilder von Einsatzkräften am gesicherten Tatort: eine große Einfamilien-Villa auf einem Privatgrundstück. Und was machen wir Leser daraus? Eine Privatsache. Tragisch, aber eben irgendwo in einer Kleinstadt, womit wir auf keinen Fall etwas zu tun haben.

Die Dichte der Berichterstattung von Gewalt gegen Frauen in den Medien hängt außerdem mit politischen Entscheidungen und Debatten zusammen. Sobald diese an die Öffentlichkeit gelangen, passiert Folgendes (Geiger 2008): Die Linke hat im August des Jahres 2018 den Antrag im deutschen Bundestag gestellt, das von der WHO definierte Wort „Femizid“ als anerkannten Begriff im deutschen Sprachraum zur Beschreibung von systematischem Mord an Frauen aufzunehmen. Nicht nur die Anzahl der Berichte über diesen Antrag an sich fällt danach auf, sondern nun werden plötzlich die Begriffe „Frauenmord“ oder „Femizid“ in deutschen Leitmedien verwendet.

So fühlen sich Leitmedien wie beispielsweise die Süddeutsche Zeitung daraufhin auch in der Pflicht, den Ernst der Lage in ihrem Panorama-Teil zu kommentieren (20. November 2018).

Dass der Antrag abgelehnt wurde, weil der Begriff nicht hinreichend definiert worden sei, erbost dann aber natürlich vor allem die eher linkspolitischen Redakteurinnen der taz  wie Heide Oestreich (2. September 2018). Darüber wird dann geschrieben. Aber auch erst dann.

Um an einem strukturellen Problem arbeiten zu können, müssen eine Öffentlichkeit und Bewusstsein geschaffen werden. Dafür braucht es angemessene Mittel, den richtigen Grad an Einfühlsamkeit, Dringlichkeit und eben nicht zuletzt eine korrekte Wortwahl. Die Medien wären der geeignete Ort dafür. Leider wird stattdessen ein anderes Bild vermittelt. Durch Vorurteile und Stereotypen wird das Problem der strukturellen Gewalt an Frauen in einer Art und Weise vermittelt, die Geschlechter- und Gewaltverhältnisse zwar thematisiert, aber „die hegemoniale Geschlechterordnung unterstützt und aufrechterhält“ (Koch 2016).

Literaturangaben

Brigitte Geiger: Die Herstellung von Öffentlichkeit für Gewalt an Frauen. Wiesbaden: VS 2008.

Eva Flicker: Der Diskurs „Frauenbewegung“ in den Medien. Wiesbaden: VS 2008.

Angela Koch: Ir/reversible Bilder. Zur Visualisierung und Medialisierung von sexueller Gewalt. Berlin: Vorwerk 8 2015.

Titelbild: Matilda Poche

Über Michael Meyen

Professor für Kommunikationswissenschaft an der LMU

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 16. September 2019 von in Allgemein und getaggt mit , , , , .

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